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In den Medien


Über unsere Gruppe erschienen seit der Gründung im Jahr 1972 zahlreiche Artikel in Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen.

Aus Zeitungen und Zeitschriften wurden die Artikel kopiert und Jahre später die Kopien digital gescannt. Die Lesbarkeit der gescannten Artikel deswegen nicht immer gut. Den wichtigsten Inhalt der Artikel haben wir hier online gestellt. 
Die kompletten Artikel stehen als PDF zur Verfügung. 

Fernsehen


Radio


Zeitungen und Zeitschriften


Wenn einem das Wort auf der Zunge liegt


Das Stolpern der Worte


Das Ringen nach Worten


Wenn die Worte nicht wollen


Wenn die Sprache hängt

Kirchenbote Osnabrück vom 10.02.2008

Von Karin Vorländer, Foto: dbl


Interview mit dem Mitgliedern unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und Stefan Meyer.

Als Download steht die PDF des Zeitungsartikel zur Verfügung. (siehe Button unten)


Stottern muss kein Schicksal sein / Kinder und Eltern kämpfen mit Sprachproblemen


Mehr als 800 000 Menschen in Deutschland stottern, so wird geschätzt. Weder Versprechungen von endgültiger Heilung, noch wohlgemeintes Übergehen des Problems helfen den Betroffenen.

„Sprich langsam, Junge.“ Stefan Meyer (37) weiß nicht, wie oft er diesen Satz als Kind zu hören bekommen hat. Er weiß nur: „Dieser Satz war fürchterlich.“ Genauso fürchterlich wie die Erfahrung, nicht ausreden zu dürfen, das Wort aus dem Mund genommen zu bekommen oder einfach ausgelacht zu werden. Denn Stefan Meyer hat Probleme mit dem flüssigen Sprechen. Er stottert. Schon seit Kindertagen. Und ist damit in illustrer Gesellschaft: An der Störung des Sprechflusses litten und leiden Prominente wie Staatsmann Winston Churchill, Naturforscher Charles Darwin, Hollywoodstar Marilyn Monroe oder „Mr. Bean“-Darsteller Rowan Atkinson. Schätzungsweise ein Prozent der Bevölkerung stottert – in Deutschland also über 800 000 Menschen.

Sprachheilpädagoge Gerrit Zipplies, Sprachtherapeut aus Dissen, erklärt seinen kleinen Patienten die verschiedenen Blockaden, die beim Sprechen auftreten können. „Es gibt ‚Frösche‘, wenn Wortteile hüpfend wiederholt werden: k-k-k-kalt. Es gibt ‚Würmer‘, wenn der Wortanfang gedehnt wird: wwwwww-warm, und es gibt ‚Stecker‘, wenn es eine hörbare oder stumme Blockade gibt: -------lecker.“

Schon kleinen Kindern sei früh bewusst, dass sie anders sprechen als andere. Deshalb sollten Eltern das Thema nicht tabuisieren, sondern Verständnis zeigen und trösten, rät Zipplies. Der Sprachheilpädagoge arbeitet im Rahmen der Therapie deshalb auch mit den Eltern. Wenn die Sprache klemmt, dann helfen keine noch so gut gemeinten Ratschläge. Die Ursache für die Störung des Sprechflusses ist bis heute nicht geklärt. Klar ist lediglich, dass die Koordination der Sprechwerkzeuge nicht funktioniert, dass es wahrscheinlich eine genetische Komponente gibt, dass Jungen häufiger als Mädchen betroffen sind und dass kompetente und geduldige Therapie helfen kann, mit dem Stottern umzugehen. „Heilung gibt es nicht, wohl aber Linderung“, wehrt Gerrit Zipplies die Hoffnung auf populäre – und teure – Wunderheilmethoden ab. Stottern ist aus seiner Sicht eine Grunderkrankung, die bleibt, auch wenn Therapie und Training in manchen Fällen dafür sorgen, dass Außenstehende fast nichts davon hören. Für Stefan Meyer sind Angebote, die mittels Hypnose, Akupunktur oder Zwerchfelltraining endgültige, womöglich schnelle Heilung versprechen, fast so schlimm wie das „Sprich langsam, Junge“ früher.

Auch Ilka Scheele (34), die wie Stefan Meyer heute Mitglied einer Selbsthilfegruppe in Bielefeld ist, denkt mit großem Schrecken an ihre Schulzeit zurück. Nur mit Mühe konnte ihre Mutter ihre Einschulung in einer Regelschule durchsetzen. „Die Mitschüler haben mir das Leben zur Hölle gemacht, meine erste Klassenlehrerin auf dem Gymnasium kam nicht mit mir klar“, erinnert sich die gelernte Schriftsetzerin. Als Schülerin entwickelte Ilka massive Vermeidungsstrategien: Wenn sie überhaupt etwas sagte, dann suchte sie Umschreibungen für Worte, die sie sowieso nicht über die Lippen bringen würde. „Da kam manchmal ziemlicher Blödsinn raus“, meint sie heute. Im Rückblick wünscht sie sich, Lehrer hätten ihr Stottern nicht konsequent übergangen und bei mündlichen Prüfungen für sie eine Sonderregelung gefunden.

Wie bei lka Scheele ist auch bei Stefan Meyer das Stottern bis heute unüberhörbar. Bei ihm trat eine Wende ein, nachdem er Vater wurde und seiner Tochter vorlesen können wollte. Im Rahmen einer Therapie begriff er: „Mein Stottern stört die Leute gar nicht so sehr, wie ich dachte. Ich kann genauso glücklich sein, wie jemand, der nicht stottert.“ Wenn er heute in seinem Beruf als Verkehrsplaner verhandeln und telefonieren muss, dann ist sein Stottern zu hören. Je nach Tagesform, bei der es eine Rolle spielt, wie ausgeschlafen oder müde, angespannt oder locker er ist. Damit hat er zu leben gelernt. Gewiss: Mit konsequentem täglichem Training könnte er die Anzahl der „Stecker“, „Würmer“ und „Frösche“ reduzieren. Aber: „Das kriege ich nicht hin. Was bringt es mir, wenn ich symptomfrei spreche, aber keine Freizeit mehr habe?“, fragt er.

Ausgesprochen selbstbewusst


"Ich möchte sagen, was ich zu sagen habe"

Haller Kreisblatt vom 22.11.2006

von Anke Schneider 


Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und ihrem Ehemann Jörg.

Als Download steht die PDF des Zeitungsartikel zur Verfügung. (siehe Button unten)


Ilka Scheele ist Vorsitzende der Bielefelder Stottererselbsthilfegruppe

Wir sind glücklich: Ilka, Jörg und Klein-Leonie haben genug Selbstvertrauen.


Ilka Scheele stottert, seit sie sprechen kann. Ihre eigenen Erfahrungen mit ihrem Sprachfehler und mit der Reaktion anderer Menschen darauf hat sie veranlasst, genau das zu tun, was Stotterer eigentlich gar nicht gerne tun, nämlich reden. Ilka Scheele ist Vorsitzende der Stotterselbsthilfegruppe Bielefeld e.V.

Aufklärung ist eines der wichtigsten Ziele, die sich die Selbsthilfegruppe auf die Fahne geschrieben hat und Aufklärung geht nun mal nur über Kommunikation. Dass Menschen mit einem Sprachfehler den Mund am liebsten gar nicht aufmachen, davon kann Ilka Scheele ein Lied singen. „Ich bin Schriftsetzerin geworden, weil man in diesem Beruf nicht viel sprechen muss“, berichtet sie. Am liebsten sei sie Frisörin geworden, der notwenige Kontakt zu den Kunden habe sie aber davon abgehalten. Stottern beeinflusst in den meisten Fällen nicht nur die Lebensplanung der Betroffenen, sondern auch das Sozialverhalten und das Selbstvertrauen. Und daran ist maßgeblich die Reaktion der anderen Menschen beteiligt. „Sie schauen oft weg, wenn ich mit ihnen rede“, stellt Ilka Scheele auch heute noch fest. Jeder andere würde dieses Verhalten als Ablehnung empfinden und auch für Stotterer ist es schmerzlich, wenn jemand betreten den Blick abwendet. Auch das typische Ins-Wort-fallen und den Satz für denjenigen, der „hängen bleibt“, vollenden, sind falsche Reaktionsweisen, die wehtun. „Ich möchte selbst sagen, was ich zu sagen habe, auch wenn es etwas länger dauert“, so Ilka Scheele. 

Stotterer, so hat Ilkas Ehemann Jörg festgestellt, werden im Allgemeinen „für etwas doof“ gehalten. Comedysendungen oder Serien wie Hausmeister Krause, in denen der „Trottel“ mit einem Sprachfehler daher kommt, bedienen dieses Klischee. Dabei ist Stottern nicht weniger und nicht mehr als das, was es ist, nämlich ein Sprachfehler. „Wenn jemand schlecht sieht oder nicht richtig hört, macht sich niemand lustig, wenn jemand nicht richtig sprechen kann, dann erntet er skep- tische Blicke“, hat Ilka Scheele festgestellt.

Das Selbstvertrauen der 32-jährigen Piumerin hat schon einigen Anschlägen standhalten müssen. „Als Kind haben mich meine Eltern auf falsches Anraten des Arztes immer wieder aufgefordert, „richtig“ zu sprechen“, erinnert sie sich. Damit haben sie ungewollt das Vermeidungsverhalten trainiert, das viele Stotterer zeigen. Man bleibt geselligen Veranstaltungen fern, vermeidet Telefonate und stimmt in Gesprächen schwei- gend zu, obwohl man anderer Meinung ist. 

„Heute gehe ich offen auf diejenigen zu, die sich

über mich lustig machen“, sagt Ilka Scheele. „Die anderen müssen sich nämlich schämen, weil sie so reagieren und nicht ich, weil ich einen Sprachfehler habe“, sagt sie.

In der Selbsthilfegruppe wird über verschiedene Therapiemöglichkeiten, aber auch über hilfreiche Tipps für den Umgang mit dem kleinen Schönheitsfehler gesprochen. „Die einzig wahre Therapie gibt es nicht, ebenso wenig, wie es die einzige Ursache gibt“, sagt Ilka Scheele. Über die Entstehung des Stotterns gibt es viele Theorien, Mediziner, Logopäden und Psychologen sind sich da nicht einig. Fakt ist, dass Männer wesentlich häufiger stottern als Frauen und dass Stotterer in allen Bevölkerungsschichten vorkommen.

Jeder Stotterer muss ausprobieren, was ihm beim Sprechen hilft. Im Takt sprechen oder harte Konsonanten weich aussprechen können hilfreiche Brücken sein. Ilka Scheele weiß, bei welchen Buchstaben und Silben sie hängen bleibt und hat ebenfalls lange versucht, diese Laute zu umgehen.

„Ich habe dann so umständlich umschrieben, was ich sagen wollte, dass mich erst recht niemand mehr verstand“, lacht sie heute darüber.

Das Reden zu vermeiden ist nicht die Lösung, das steht für Ilka Scheele fest. Die selbst bestimmte Isolation beeinträchtigt die Lebensqualität ungemein, die Unsicherheit im Umgang mit Menschen und als Folge daraus auch das Stottern werden so nur schlimmer.

In der Selbsthilfegruppe hat Ilka Scheele Menschen gefunden, denen es ähnlich ging wie ihr. Heute bemüht sich die 32-Jährige als Vorsitzende um Aufklärung, denn das Schlimmste am Stottern ist und bleibt die Angst vor der Reaktion der anderen. Darum ein Tipp an alle Nicht- Stotternden: In Ruhe zuhören, Wert auf das legen, was gesagt wird und nicht, wie es gesagt wird, den Blickkontakt halten und keine gut gemeinten Ratschläge verteilen, denn der Stotterer hat sie garantiert schon ausprobiert.


Lieber stottern statt schweigen



Ich stottere - na und?


  • Artikeltext 2012 / Wenn einem das Wort auf der Zunge liegt

    Mindener Tageblatt - news-Das Magazin 

    vom 08.02.2012


    Von Kristy Netzeband

    Foto: Stotterer-Selbsthilfegruppe Bielefeld


    Interview mit dem Mitglied unserer Gruppe: Gerhard Hölscher.



    Stotterer-Selbsthilfegruppe in Bielefeld tauscht sich aus und macht sich gegenseitig Mut

    Hollywood-Schauspieler Bruce Willis, Fußballer Hamit Altintop und Spaßvogel Rowan Atkinson („Mr. Bean“) – sie alle haben das gleiche Problem: Sie stottern. Etwa 800 000 Menschen in Deutschland beziehungsweise ein Prozent der Weltbevölkerung leiden unter dieser Fehlentwicklung der Sprachfähigkeit.


    So auch Gerhard Hölscher (65) aus Bielefeld. seine Eltern entdeckten die ersten Anzeichen bei ihm, als er vier Jahre alt war. „Meine Mutter wurde krank und ich wohnte für ein halbes Jahr bei meiner Tante. Als es meiner Mutter wieder besser ging, zog ich zurück zu meiner Familie. Aber hier musste ich mir die Aufmerksamkeit plötzlich mit meiner Schwester teilen. Da soll ich angefangen haben, meine Sprache zu verändern“, erinnert sich der Rentner. Was zunächst der Wunsch nach mehr Auf- merksamkeit war, wandelte sich wenige Jahre später in die Angst um, ein Wort falsch auszusprechen. Auch heute stottert Gerhard Hölscher noch, aber er hat sein Problem gut in den Griff bekommen – weil er sich Hilfe geholt hat.


    Neben dem Gang zu mehreren Therapeuten ist er auch Gründungsmitglied der seit 1975 bestehenden Stotterer-Selbsthilfegruppe in Bielefeld. „Die Schwester eines Freundes hat auch gestottert und diese hat an der Universität Bielefeld Kontakt mit einem Professor aufgenommen, der ebenfalls stotterte. So entstand damals die Selbsthilfegruppe“, sagt der heute 65-Jährige, der erster Vorsitzender der Selbsthilfegruppe in Bielefeld ist.


    Die Gruppe trifft sich alle 14 Tage in den geraden Wochen in der Bürgerwache in der Rolandstraße 16 direkt am Siegfriedplatz in Bielefeld. Derzeit hat die Gruppe etwa zehn Mitglieder, eine Person kommt sogar aus Bad Oeynhausen.

    Bei den Treffen geht es nicht nur um Therapieformen. „Natürlich machen wir auch Sprachübungen oder tauschen Tipps aus, die wir von unseren Therapeuten bekommen haben. Aber in erster Linie geht es darum, das Stottern für sich zu akzeptieren und sich gegenseitig Mut zu machen“, sagt Gerhard Hölscher. Die Betroffenen trauen sich oft kaum etwas zu sagen, meiden daher viele Situationen und haben wenig Selbstvertrauen. Seinen Ärzten sei es früher immer nur darum gegangen, dass man wieder stotterfrei reden kann. Man müsse seine Schwierigkeiten aber vor allem akzeptieren und lernen mit ihnen umzugehen, sagt Hölscher.


    Manchmal filmen sich die Mitglieder und sprechen danach über ihr Verhalten – natürlich alles freiwillig. „Ich habe vor Kurzem Aufnahmen von mir gesehen und bemerkt, wie stark meine Ge- sichtsmuskulatur teilweise verkramppt. Man selbst nimmt das gar nicht wahr“, weiß der 65-Jährige. Die Stotterer bringen aber auch zu den Treffen Bücher mit und lesen sich dann gegenseitig Geschichten vor. Wichtig sei vor allem, dass sich alle in Ruhe aussprechen lassen, sagt der Vorsitzende. Wenn das Wetter wieder besser ist, unternimmt die Gruppe Ausflüge oder nimmt an Seminaren teil. im Sommer geht es zusammen zum Nordic Walking, denn hierbei kann die richtige Atemtechnik trainiert werden. Im Herbst folgt dann unter anderem progressive Muskelentspannung.


    Unter Stottern versteht man die Unterbrechung des Redeflusses. Die Blockaden äußern sich darin, dass die betroffene Person Wörter dehnt oder sie oft wiederholen muss. „Meist will man viel zu schnell reden. im Kopf ist dann schon klar, welches Wort man sagen will, aber man braucht eben länger. Das ist wie bei einer Datei auf dem Computer. Auch wenn sie gelöscht wird, ist sie irgendwo immer noch auf der Festplatte vorhanden und kann mit etwas Mühe wieder hergestellt werden“, versucht Hölscher den Prozess des Stotterns zu beschreiben. Bei manchen Betroffenen verkrampft sich die Gesichtsmuskulatur und sie versuchen sich mit Händen und Füßen zu verständigen. „Interessant ist auch, dass ich viele Stotterer kennengelernt habe, die ohne Probleme singen können. Das hängt damit zusammen, dass das Sprachzentrum von der rechten Gehirnhälfte gesteuert wird, singen aber über die linke Gehirnhälfte funktioniert“, weiß Gerhard Hölscher.

    Eine wissenschaftliche Begründung, warum Menschen stottern, gibt es bislang nicht. Die Faktoren, die eine Sprachstörung auslösen, sind bei jedem Menschen verschieden. etwa fünf Prozent aller Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren leiden unter Sprachschwierigkeiten. „Oftmals entwickeln sich diese aber auch selbstständig wieder zurück“, weiß Gerhard Hölscher. Allerdings können stotternde Eltern auch eine Veranlagung an ihre Kinder weitergeben.

    Therapiemöglichkeiten gibt es inzwischen viele. Sprachtherapeuten machen sich im Vorfeld ein Bild von ihrem Patienten und schauen, welche Möglichkeit für ihn am besten ist. Das kann entweder eine Einzel- oder eine Gruppentherapie sein – je nachdem wo sich die Person am wohlsten fühlt. „Bei Kindern ist allerdings sehr wichtig, dass die Eltern in die Therapie mit einbezogen werden und ihr Kind so auch zu Hause unterstützen können“, betont Hölscher.

    Er weist außerdem darauf hin, dass nicht jeder Logopäde (Sprachtherapeut) auf das Stottern spezialisiert ist. Der richtige Therapeut sollte also mit Bedacht ausgewählt werden. „Die Bundesvereinigung der Stotterer- Selbsthilfe bietet ein Verzeichnis von spezialisierten Therapeuten an. Außerdem steht sie auch für Beratungen zur Verfügung“, so der Rentner aus Bielefeld. Von der Hypnose als Therapiemöglichkeit hält er allerdings nicht sehr viel. „Das Stottern kann vielleicht kurzfristig besser werden, aber langfristig kehren die Probleme wieder.“

    Seit dem Kino-hit „The King’s Speech“ wissen die meisten, dass auch König George VI. von Großbritannien (1895-1952) gestottert hat. Dieser Film hat Gerhard Hölscher und vielen anderen stotterern Mut gemacht, offen mit ihrem Problem umzugehen. Dennoch haben Stotterer im Alltag mit vielen Problemen zu kämpfen. „Den Leuten fällt es vielleicht gar nicht so stark auf, aber der Stotterer macht sich schon im Voraus viel zu viele Gedanken darüber“, weiß Hölscher. So kennt er Fälle, in denen sich Stotterer bewusst etwas auf der Speisekarte bestellten, das sie gut aussprechen konnten. „Ich weiß auch von Jemandem, der die Zahl „vier“ besonders gut aussprechen konnte und deshalb so lange um die voll besetzte Tankstelle herumfuhr, bis er an der Zapfsäule „vier“ tanken konnte, damit er dies ohne große Probleme der Kassiererin mitteilen konnte.“

    Auch Hölscher selbst hat heute noch mit spontanen Blockaden zu kämpfen. „Ich war beruflich auf einer Beratungsreise und habe vier Stunden lang ohne Probleme einen Vortrag halten können. Danach bin ich zu einer Eisdiele gegangen, an der vier Jugendliche vor mir standen. Als ich dran war, habe ich erst mal kein Wort rausbekommen.“ Damit der Druck und die Anspannung in einer solchen Situation nicht noch größer werden, hilft nur eins: sich sammeln, Mundmuskulatur entspannen, durch den Bauch atmen und die Wörter regelmäßig betonen. „Da ist nicht nur Technik, sondern da ist auch viel Kopfsache dabei“, sagt Gerhard Hölscher.

  • Artikeltext 2011 / Das Stolpern der Worte

    Neue Westfälische 

    vom 16.02.2011

    Von Hendrik Uffmann und Jörn Hannemann (Foto)


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Gerhard Hölscher.


    Stotterer-Selbsthilfegruppe Bielefeld freut sich auf den Film »The King's Speech«

    Gerhard Hölscher (64) ist der Vorsitzende der Stotterer-Selbsthilfegruppe Bielefeld. In dem 1974 gegründeten Verein unterstützen sich Stotterer gegenseitig und trainieren gemeinsam, Alltagssituationen besser zu bewältigen. Den Film »The King's Speech« will Hölscher nutzen, um Betroffene zu ermutigen und Nicht-Stotterer zu informieren. In Bielefeld gibt es nach Schätzungen etwa 3000 Menschen mit einer Unterbrechung des Redeflusses, viel von ihnen ziehen sich deswegen aus der Öffentlichkeit zurück.


    Bielefeld (WB). Stottern ist eine Qual. Ob bei einer Rede an die Nation oder beim Bestellen in der Eisdiele. Morgen läuft mit »The King's Speech« auch in den Bielefelder Kinos ein Film an, in dem die Hauptfigur ein Stotterer ist. Gerhard Hölscher, Vorsitzender der Bielefelder Stotterer- Selbsthilfegruppe, ist dankbar dafür.

    »Ich vermute, dass es in dem Film einige Momente geben wird, die mich sehr bewegen, weil sie mich an eigene Erlebnisse erinnern werden«, sagt der 64-jährige, der einige Auszüge aus dem für zwölf Oscars nominierten Film bereits gesehen hat. Darin geht es um den britischen König George VI., der in einer bewegenden Rede zum Beginn des Zweiten Weltkriegs seine Landsleuten auf den Widerstand gegen Nazi-Deutschland einschwor, obwohl er ein Stotterer war.

    Die Bielefelder Stotterer-Selbsthilfegruppe will den Film nun nutzen, um Betroffene – in Bielefeld sind es nach Schätzungen 3000 – zu ermutigen, selbstbewusst mit dem Problem umzugehen, und bei Nicht-Stotterern um Verständnis und Akzeptanz zu werben. So wird der Verein am Samstag und Sonntag, 19. und 20. Februar, jeweils vor und nach den Vorstellungen von »The King's Speech« im Cinestar-Kino an der Zimmerstraße mit einem Informationsstand vertreten sein. Für die Mitglieder des Vereins, selbst alle Stotterer, wird diese Situation, mit vielen Fremden ins Gespräch zu kommen, eine besondere Herausforderung sein, so Hölscher.

    Auch er selbst stottert seit seinem fünften Lebensjahr. »Damals ging es soweit, dass ich mich fürchtete, meinen Eltern Gute Nacht zu sagen, aus Angst, dass ich die Wörter nicht herausbekomme«, erzählt er. Bis zu seinem Studium habe er das Problem jedoch nicht akzeptieren wollen, statt dessen nach Vermeidungsstrategien gesucht. »Im Restaurant bestellt man dann zum Beispiel nicht das Gericht, das einem besonders gut schmeckt, sondern das, was man am besten aussprechen kann.«

    Trotzdem schaffte es Gerhard Hölscher, »auch mit Glück und verständvollen Chefs, wie er sagt, im Beruf erfolgreich zu sein. So war er jahrelang Leiter des Controlling-Bereichs in einem großen Lebensmittelkonzern. dabei hielt er immer auch Vorträge und leitetete Auszubildende an. Doch für ihn gebe es bis heute große Unterschiede zwischen privaten und beruflichen Situationen. »Einmal habe ich ohne Probleme einen Vortrag vor einer großen Gruppe von Geschäftsführern gehalten. Doch als ich danach ein Eis kaufen wollte, brachte ich kaum die Wörter heraus.«

    Bis heute arbeitet er an sich, um die Unter- brechung des Redeflusses zu überwinden. Hilfreich seien dafür unter anderem auch Entspannungsübungen. Hölscher: »Stotterer wissen oft schon Sekunden vorher, wenn sie bei einem Wort Schwierigkeiten haben. Dann verkrampfen sie und schaffen es tatsächlich nicht, es auszusprechen.«

    Ein psychisches Problem sei das Stottern dennoch nicht. Laut der Bundesvereinigung Stotterer- Selbsthilfe gehen Wissenschaftler heute davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind stottert, genetisch bedingt ist. Dennoch beeinflusst die Gefühlslage eines Menschen sehr stark das Stottern.

    Dass auch König Georg VI., der durch seine Haltung im Zweiten Weltkrieg der Monarchie in Groß- britannien zu enormer Popularität verholfen hat, gestottert hat, das sei ihm bis zu »The King's Spe- ech« nicht bewusst gewesen, sagt Gerhard Hölscher. Doch nun will er den Film nutzen. Um Brücken zu schlagen und Mut zu machen.

  • Artikeltext 2010 / Das Ringen nach Worten

    Westfalen-Blatt

    vom 22.10.2010

    Von Frauke Kanbach, Foto: Oliver Schwabe


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele.


    Heute ist Welttag des Stotterns - eine Betroffene berichtet

    Viele Jahre hat Ilka Scheele nicht gewagt, ihren Mund aufzumachen aus Angst vor dem Stottern und immer mit dem Wunsch, es zu vermeiden. heute bestimmt die 37-Jährige ihr Leben selbst und läst nicht die Sprechbehinderung über ihr Leben bestimmen. 


    Borgholzhausen (kan). Ilka - das ist ein kurzer, leicht auszusprechender Name. Jedoch nicht für Ilka Scheele. Für die 37-jährige Borgholzhausenerin wird ihr eigener Name zum Stolperstein. Sie stottert nämlich.

    Ilka Scheele steht damit nicht alleine da. Ein Prozent aller Menschen stottert - in Deutschland sind das mehr als 800 000. Heute, Freitag, zum Welttag des Stotterns wollen Betroffene unter dem Motto »Stotternde redet! Ihr bewegt viel!« aufklären.

    Diesem Aufruf folgt auch Ilka Scheele. Doch der Weg, bis sie es wagte, aus ihrer Schüchternheitsecke herauszukommen und den Mund aufzumachen, war lang. »Erst mit 20 Jahren habe ich das Stottern akzeptiert«, erzählt die Mutter von zwei kleinen Töchtern. Als Schlüsselerlebnis nennt sie das Kennenlernen ihres heutigen Mannes: »Er hat mich einfach darauf angesprochen, und zunächst war ich sauer. Dann aber war ich erleichtert, weil ich endlich so sein konnte, wie ich bin.« Erst dann sei sie selbst auch bereit gewesen, Hilfe anzunehmen.

    Was sie davor erlebte, ist ein für viele Stotternde typischer Lebensverlauf. Bei der Schulvoruntersuchung wird den Eltern geraten, ihre Tochter an einer Sonderschule anzumelden. Das lehnen diese ab. Fortan kämpft Ilka Scheele gegen das - oft aus Unwissenheit resultierende - Vorurteil an, dass Stottern mit mangelnder Intelligenz verbunden sei (siehe Kasten). Sie entwickelt Vermeidungstechniken wie das Umgehen bestimmter Wörter und Situationen und schafft es damit bis aufs Gymnasium. Ihre schriftlichen Leistungen sind normal, ihre mündliche Beteiligung dagegen mangelhaft. Sie hält fest: »Es war anstrengend, sich durch die Schulzeit zu mogeln.« Sogar bei der Berufswahl lässt sie sich von der Sprechbehinderung beeinflussen. Sie lernt Schriftsetzerin. »Ich habe eine Arbeit ohne viel Kontakt zu anderen Menschen gesucht.«

    Experten wie die Bielefelder Logopädin Petra Frühling sind sich einig, dass Stottertherapie umso aussichtsreicher ist, je früher eine qualifizierte Behandlung erfolgt. Dabei werde zwischen zwei Ansätzen unterschieden, erklärt die Sprecherzieherin: die Stottermodifikation (Nicht-Vermeidungs-Ansatz) und das Erlernen von Sprechtechniken (Fluency Shaping). Auch Ilka Scheele wurde als Kind therapeutisch behandelt, doch die meisten Methoden fand sie schlicht doof: »Ich sollte mir zum Beispiel beim Sprechen auf die Knie schlagen. Hätte ich das gemacht, hätten mich die anderen Kinder ausgelacht.« Heute lächelt darüber die Logopädin. Inzwischen habe sich in der Behandlung viel verändert, »dabei wird deutlich zwischen Kindern und Erwachsenen unterschieden«.

    Inzwischen ist Ilka Scheele auch selbstbewusst genug, mit ihrer Sprachbehinderung offen umzugehen. Geholfen hat ihr neben Therapien auch die Bielefelder Selbsthilfegruppe, bei der sie zum ersten Mal erlebte: »Im Austausch mit Gleichgesinnten war das Stottern plötzlich etwas Verbindendes, nichts Ausgrenzendes.« Seit 2002 ist sie sogar deren Vorsitzende.

    Von Nicht-Stotternden will Ilka Scheele behandelt werden wie jeder andere Gesprächspartner. »Verhalten Sie sich ganz normal, halten Sie Blickkontakt, lassen Sie die stotternde Person ausreden und ergänzen Sie keine Wörter. Das wirkt oft demütigend«, rät Petra Frühling.

    Die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe informiert im Internet über das Thema und Hilfsangebote vor Ort.

    www.bvss.de

  • Artikeltext 2010 / Wenn die Worte nicht wollen

    Neue Westfälische 

    vom 22.10.2010

    Von Heidi Hagen-Pekdemir,  Foto Sahrah Jonek


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Gerhard Hölscher.


    Ein Stotterer berichtet

    Das Ringen um Worte: Gerhard Hölscher spricht flüssig und anschaulich über seine Behinderung. gestenreich wie ein Dirigent untermalt er seine Ausführungen. Ein Wort allerdings stoppt seinen Redefluss (u). Es heißt "stottern".


    Bielefeld. Die Zunge klebt am Gaumen, Wörter klingen wie zerhackt. Stotterer ziehen meist den Spott ihrer Umgebung auf sich. Gerhard Hölscher hat gelernt, mit seiner Behinderung umzugehen. Stattsich zurückzuziehen, engagiert sich der Bielefelder in einer Selbsthilfegruppe. Zum heutigen Welttag des Stotterns spricht der 63-Jährige offen über sein Sprachproblem.

    Am Anfang war die Angst. Die Angst als Kind, nicht geliebt zu werden. Hölscher glaubt die Wurzel seines Problems zu kennen. Fünf Jahre muss er gewesen sein, als er seine Art zu sprechen veränderte. Später kam eine regelrechte Blockade dazu. Der Junge konnte nicht mehr flüssig "Gute Nacht" sagen. Gerhard Hölscher hatte angefangen zu stottern. Wie er sind geschätzte ein Prozent der Deutschen von dieser Behinderung betroffen.

    Bei jeder Veränderung in seinem Leben trat das Problem verstärt auf: beim Schulwechsel etwa oder zu Beginn des Studiums. "Wenn man versucht, etwas dagegen zu tun, wurde es noch schlimmer."

    Hölscher erzählt das alles in gleichbleibender Stimmlage, schnell und gestenreich. Nur selten ringt er um Begriffe, die Worte fließen nur so über seine Lippen. Dieses Gespräch mit der Neuen Westfälischen, sagt er, bedeutet für ihn Anerkennung. "Man steht dabei im Mittelpunkt." Bei einem einzigen Wort hapert es. Beim"Stottern". Das fällt dem Mann sichtbar schwer. Er bestätigt: "Wenn man das Ausspricht, kann man sich schon schlechter fühlen."

    Die lang vermisste Anerkennung spürte Hölscher erst später im Beruf, vor allem in seiner Position als Leiter der Controlling-Abteilung eines regionalen Konzerns. damals waren stundenlange referate, etwa über Kundendeckungsbeitragsrechnungen, für ihn selbstverständlich. Alle ohne Aussetzer. Niemand der Zuhörer ahnte, dass ein Stotterer zu ihnen sprach. "Hier konnte ich meine Rolle als totaler Fachmann spielen. Ich wusste mehr als das Publikum."

    Dieses Gefühl änderte sich innerhalb weniger Minuten. Nach einem seiner Auftritte stellte sich der Betriebswirt in einer Eisdiele an. "Da ging es schon wieder los. Es waren Kinder da. Und ich fürchtete , die kennen die Namen besser als ich." Hölscher brachte nur ein hilfloses Stammeln zustande. Er erinnert sich auch an etliche Restaurantbesuche, bei denen er sich mithilfe von Vermeidungsstrategien durchgemogelt hat. "Normalerweise sollte man das bestellen, was man mag. Um aber nicht wie bescheuert dazustehen, entscheidet man sich für etwas anderes." Für etwas Aussprechbares.

    dass der Mann heute souveräner mit seinem Sprachproblem umgehen kann, führt er auf regelmäßige Meditationsübungen zurück. Sie nehmen ihm die Angst, etwa vor Wörtern, von denen er glaubt, sie blieben ihm im rachen stecken. "Man kann verstehen lernen, damit umzugehen", fasst er zusammen. "Man kann dabei lernen, sich selbst zu akzeptieren. Das ist unwahrscheinlich wichtig." Der zweifache Großvater versucht mittlerweile als zweiter Vorsitzender der Stotterer-Selbsthilfegruppe Bielefeld, dieses Wissen anderen Betroffenen zu vermitteln.

    Stotterer befinden sich übrigens in prominenter gesellschaft. Dampfplauderer Dieter-Thomas Heck gehört dazu, Thilo Sarrazin, der Beschwörer der islamischen Gefahr, und auch Marilyn Monroe. dass der Filmstar nicht flüssig reden konnte, war in seinen Filmen nicht herauszuhören. Die Erklärung adfür kennt nur zu gut: "Wenn wir unsere zweite Rolle spielen, dann klappt es auch mit der Sprache."

    Wie ihr seht, sind die Möglichkeiten unserer Selbsthilfearbeit unbegrenzt. Lernt sie doch auf unserer Website ein wenig näher kennen.


    Besser noch: Macht mit!

  • Artikeltext 2008 / Wenn die Sprache hängt

    Kirchenbote Osnabrück 

    vom 10.02.2008

    Von Karin Vorländer, Foto: dbl


    Interview mit dem Mitgliedern unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und Stefan Meyer.


    Stottern muss kein Schicksal sein / Kinder und Eltern kämpfen mit Sprachproblemen


    Mehr als 800 000 Menschen in Deutschland stottern, so wird geschätzt. Weder Versprechungen von endgültiger Heilung, noch wohlgemeintes Übergehen des Problems helfen den Betroffenen.

    „Sprich langsam, Junge.“ Stefan Meyer (37) weiß nicht, wie oft er diesen Satz als Kind zu hören bekommen hat. Er weiß nur: „Dieser Satz war fürchterlich.“ Genauso fürchterlich wie die Erfahrung, nicht ausreden zu dürfen, das Wort aus dem Mund genommen zu bekommen oder einfach ausgelacht zu werden. Denn Stefan Meyer hat Probleme mit dem flüssigen Sprechen. Er stottert. Schon seit Kindertagen. Und ist damit in illustrer Gesellschaft: An der Störung des Sprechflusses litten und leiden Prominente wie Staatsmann Winston Churchill, Naturforscher Charles Darwin, Hollywoodstar Marilyn Monroe oder „Mr. Bean“-Darsteller Rowan Atkinson. Schätzungsweise ein Prozent der Bevölkerung stottert – in Deutschland also über 800 000 Menschen.

    Sprachheilpädagoge Gerrit Zipplies, Sprachtherapeut aus Dissen, erklärt seinen kleinen Patienten die verschiedenen Blockaden, die beim Sprechen auftreten können. „Es gibt ‚Frösche‘, wenn Wortteile hüpfend wiederholt werden: k-k-k-kalt. Es gibt ‚Würmer‘, wenn der Wortanfang gedehnt wird: wwwwww-warm, und es gibt ‚Stecker‘, wenn es eine hörbare oder stumme Blockade gibt: -------lecker.“

    Schon kleinen Kindern sei früh bewusst, dass sie anders sprechen als andere. Deshalb sollten Eltern das Thema nicht tabuisieren, sondern Verständnis zeigen und trösten, rät Zipplies. Der Sprachheilpädagoge arbeitet im Rahmen der Therapie deshalb auch mit den Eltern. Wenn die Sprache klemmt, dann helfen keine noch so gut gemeinten Ratschläge. Die Ursache für die Störung des Sprechflusses ist bis heute nicht geklärt. Klar ist lediglich, dass die Koordination der Sprechwerkzeuge nicht funktioniert, dass es wahrscheinlich eine genetische Komponente gibt, dass Jungen häufiger als Mädchen betroffen sind und dass kompetente und geduldige Therapie helfen kann, mit dem Stottern umzugehen. „Heilung gibt es nicht, wohl aber Linderung“, wehrt Gerrit Zipplies die Hoffnung auf populäre – und teure – Wunderheilmethoden ab. Stottern ist aus seiner Sicht eine Grunderkrankung, die bleibt, auch wenn Therapie und Training in manchen Fällen dafür sorgen, dass Außenstehende fast nichts davon hören. Für Stefan Meyer sind Angebote, die mittels Hypnose, Akupunktur oder Zwerchfelltraining endgültige, womöglich schnelle Heilung versprechen, fast so schlimm wie das „Sprich langsam, Junge“ früher.

    Auch Ilka Scheele (34), die wie Stefan Meyer heute Mitglied einer Selbsthilfegruppe in Bielefeld ist, denkt mit großem Schrecken an ihre Schulzeit zurück. Nur mit Mühe konnte ihre Mutter ihre Einschulung in einer Regelschule durchsetzen. „Die Mitschüler haben mir das Leben zur Hölle gemacht, meine erste Klassenlehrerin auf dem Gymnasium kam nicht mit mir klar“, erinnert sich die gelernte Schriftsetzerin. Als Schülerin entwickelte Ilka massive Vermeidungsstrategien: Wenn sie überhaupt etwas sagte, dann suchte sie Umschreibungen für Worte, die sie sowieso nicht über die Lippen bringen würde. „Da kam manchmal ziemlicher Blödsinn raus“, meint sie heute. Im Rückblick wünscht sie sich, Lehrer hätten ihr Stottern nicht konsequent übergangen und bei mündlichen Prüfungen für sie eine Sonderregelung gefunden.

    Wie bei lka Scheele ist auch bei Stefan Meyer das Stottern bis heute unüberhörbar. Bei ihm trat eine Wende ein, nachdem er Vater wurde und seiner Tochter vorlesen können wollte. Im Rahmen einer Therapie begriff er: „Mein Stottern stört die Leute gar nicht so sehr, wie ich dachte. Ich kann genauso glücklich sein, wie jemand, der nicht stottert.“ Wenn er heute in seinem Beruf als Verkehrsplaner verhandeln und telefonieren muss, dann ist sein Stottern zu hören. Je nach Tagesform, bei der es eine Rolle spielt, wie ausgeschlafen oder müde, angespannt oder locker er ist. Damit hat er zu leben gelernt. Gewiss: Mit konsequentem täglichem Training könnte er die Anzahl der „Stecker“, „Würmer“ und „Frösche“ reduzieren. Aber: „Das kriege ich nicht hin. Was bringt es mir, wenn ich symptomfrei spreche, aber keine Freizeit mehr habe?“, fragt er. 

  • Artikeltext 2007 / Ausgesprochen selbstbewusst

    Neue Westfälische 

    vom 20./21.10.2007

    Von Alexandra Buck, Foto: Buck


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und ihrem Ehemann Jörg.


    Aus dem Leben einer Stotternden - vom Buchstabensalet uns seltsamen Tipps

    Egal, was andere denken: Früher hat Ilka Scheele sich das Sprechen oft verkniffen. Heute stottert sie den Menschen fröhlich ins Gesicht.


    Bielefeld. Anstrengend ist das, wenn die Worte im Hals hängenbleiben. Anstrengender ist es, in das betretene Gesicht des Gegenübers zu schauen. „Was denkt der jetzt bloß?“ fragt sich der Stotternde stets. In den Schultern fängt’s an, zieht durch den Brustkorb bis zur Kehle. Und dann geht alles zu. Das Wort will nicht raus.


    „Intellektuell nicht auf der Höhe“, denkt das Gegenüber im schlimmsten Fall. Die Prüferin des Schultauglichkeitstests jedenfalls hätte Ilka Scheele am liebsten zur Sonderschule geschickt.

    Zum Glück wehrte sich Scheeles Mutter seinerzeit mit Händen und Füßen. Fünf Jahre alt ist die Borgholzhausenerin damals gewesen. Jetzt ist sie 33 und stottert immer noch. Doch heute schämt sie sich nicht mehr, wenn der Buchstabensalat nicht wohlsortiert aus ihrem Mund strömt – und stottert ihren Mitmenschen fröhlich ins Gesicht.

    Wenn Ilka Scheele in der Grundschule aufgerufen wurde und die Buchstaben in ihrem Hals festhingen, klang das bizarr und animierte die Mitschüler zum Nachmachen. Das schmerzte die junge Stotterin. Doch die wenigsten Lehrer beschäftigte die Sprachstörung. „Kaum einer fragte mich, wie wir’s regeln, ob ich richtig rangenommen werden will oder nur aufgerufen, wenn ich mich melde. Man hätte ja drüber spre- chen können.“

    Sprechen müssen, wenn man nicht will, das ist auch für den jungen Nichtstotternden aufreibend. „Für den Stotterer ist es eine Qual.“ Der eine bestellt stets vier statt drei Kugeln Eis, weil „drei“ holprig den Mund verlässt, der andere will gar nichts sagen.

    Ilka Scheele hasst es zu allem Überfluss, ihren Vornamen auszusprechen. I-l-k-a will nicht unfallfrei aus Ilkas Mund. „Ich habe mich früher mit einer Freundin abgesprochen: Ich habe sie vorgestellt und sie mich. Nicole ging mir einfach besser über die Lippen.“

    Auch „Quittung“ war tabu. „Diesen Zettel . . ., also wo man die Preise draufschreibt“, flötete Scheele der Verkäuferin stets flüssig entgegen. „Quittung“ wäre ihr im Hals steckengeblieben. Eine Logopädin gab Ilka Scheele einmal den Tipp, sie solle singen statt sprechen. Sie stotterte dann zwar nicht mehr. Doch der Singsang war kaum alltagstauglich: „Dreeeeimaaal viiiier macht zwööölf. Das war wirklich peinlich in der Schule.“ Nach der Pubertät versuchte sie, den Sprachfehler einfach zu ignorieren.

    Bis sie ihren heutigen Ehemann Jörg kennenlernte. Der registrierte die kleine Schwäche sofort und platzte 1992, nach einem Jahr Beziehung, bislang ohne ein Wort zum Thema, unvermittelt damit raus: „Ich habe in der Zeitung einen Artikel über eine Stotterer-Selbsthilfegruppe in Bielefeld gelesen, geh’ doch mal hin.“ Dort lernte Ilka Scheele, zum Stottern zu stehen, sich zu entspannen und den Sprachfehler zu akzeptieren. „Immer dasselbe Schema: Man denkt, man sei der einzige Mensch auf der Welt, der stottert. Kommt man in eine solche Gruppe, erkennt man, es gibt viele.“

  • Artikeltext 2006 / "Ich möchte sagen, was ich zu sagen habe."

    Haller Kreisblatt 

    vom 22.11.2006

    von Anke Schneider 


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und ihrem Ehemann Jörg.


    Ilka Scheele ist Vorsitzende der Bielefelder Stottererselbsthilfegruppe

    Wir sind glücklich: Ilka, Jörg und Klein-Leonie haben genug Selbstvertrauen.


    Ilka Scheele stottert, seit sie sprechen kann. Ihre eigenen Erfahrungen mit ihrem Sprachfehler und mit der Reaktion anderer Menschen darauf hat sie veranlasst, genau das zu tun, was Stotterer eigentlich gar nicht gerne tun, nämlich reden. Ilka Scheele ist Vorsitzende der Stotterselbsthilfegruppe Bielefeld e.V.

    Aufklärung ist eines der wichtigsten Ziele, die sich die Selbsthilfegruppe auf die Fahne geschrieben hat und Aufklärung geht nun mal nur über Kommunikation. Dass Menschen mit einem Sprachfehler den Mund am liebsten gar nicht aufmachen, davon kann Ilka Scheele ein Lied singen. „Ich bin Schriftsetzerin geworden, weil man in diesem Beruf nicht viel sprechen muss“, berichtet sie. Am liebsten sei sie Frisörin geworden, der notwenige Kontakt zu den Kunden habe sie aber davon abgehalten. Stottern beeinflusst in den meisten Fällen nicht nur die Lebensplanung der Betroffenen, sondern auch das Sozialverhalten und das Selbstvertrauen. Und daran ist maßgeblich die Reaktion der anderen Menschen beteiligt. „Sie schauen oft weg, wenn ich mit ihnen rede“, stellt Ilka Scheele auch heute noch fest. Jeder andere würde dieses Verhalten als Ablehnung empfinden und auch für Stotterer ist es schmerzlich, wenn jemand betreten den Blick abwendet. Auch das typische Ins-Wort-fallen und den Satz für denjenigen, der „hängen bleibt“, vollenden, sind falsche Reaktionsweisen, die wehtun. „Ich möchte selbst sagen, was ich zu sagen habe, auch wenn es etwas länger dauert“, so Ilka Scheele. 

    Stotterer, so hat Ilkas Ehemann Jörg festgestellt, werden im Allgemeinen „für etwas doof“ gehalten. Comedysendungen oder Serien wie Hausmeister Krause, in denen der „Trottel“ mit einem Sprachfehler daher kommt, bedienen dieses Klischee. Dabei ist Stottern nicht weniger und nicht mehr als das, was es ist, nämlich ein Sprachfehler. „Wenn jemand schlecht sieht oder nicht richtig hört, macht sich niemand lustig, wenn jemand nicht richtig sprechen kann, dann erntet er skep- tische Blicke“, hat Ilka Scheele festgestellt.

    Das Selbstvertrauen der 32-jährigen Piumerin hat schon einigen Anschlägen standhalten müssen. „Als Kind haben mich meine Eltern auf falsches Anraten des Arztes immer wieder aufgefordert, „richtig“ zu sprechen“, erinnert sie sich. Damit haben sie ungewollt das Vermeidungsverhalten trainiert, das viele Stotterer zeigen. Man bleibt geselligen Veranstaltungen fern, vermeidet Telefonate und stimmt in Gesprächen schwei- gend zu, obwohl man anderer Meinung ist. 

    „Heute gehe ich offen auf diejenigen zu, die sich

    über mich lustig machen“, sagt Ilka Scheele. „Die anderen müssen sich nämlich schämen, weil sie so reagieren und nicht ich, weil ich einen Sprachfehler habe“, sagt sie.

    In der Selbsthilfegruppe wird über verschiedene Therapiemöglichkeiten, aber auch über hilfreiche Tipps für den Umgang mit dem kleinen Schönheitsfehler gesprochen. „Die einzig wahre Therapie gibt es nicht, ebenso wenig, wie es die einzige Ursache gibt“, sagt Ilka Scheele. Über die Entstehung des Stotterns gibt es viele Theorien, Mediziner, Logopäden und Psychologen sind sich da nicht einig. Fakt ist, dass Männer wesentlich häufiger stottern als Frauen und dass Stotterer in allen Bevölkerungsschichten vorkommen.

    Jeder Stotterer muss ausprobieren, was ihm beim Sprechen hilft. Im Takt sprechen oder harte Konsonanten weich aussprechen können hilfreiche Brücken sein. Ilka Scheele weiß, bei welchen Buchstaben und Silben sie hängen bleibt und hat ebenfalls lange versucht, diese Laute zu umgehen.

    „Ich habe dann so umständlich umschrieben, was ich sagen wollte, dass mich erst recht niemand mehr verstand“, lacht sie heute darüber.

    Das Reden zu vermeiden ist nicht die Lösung, das steht für Ilka Scheele fest. Die selbst bestimmte Isolation beeinträchtigt die Lebensqualität ungemein, die Unsicherheit im Umgang mit Menschen und als Folge daraus auch das Stottern werden so nur schlimmer.

    In der Selbsthilfegruppe hat Ilka Scheele Menschen gefunden, denen es ähnlich ging wie ihr. Heute bemüht sich die 32-Jährige als Vorsitzende um Aufklärung, denn das Schlimmste am Stottern ist und bleibt die Angst vor der Reaktion der anderen. Darum ein Tipp an alle Nicht- Stotternden: In Ruhe zuhören, Wert auf das legen, was gesagt wird und nicht, wie es gesagt wird, den Blickkontakt halten und keine gut gemeinten Ratschläge verteilen, denn der Stotterer hat sie garantiert schon ausprobiert.


  • Artikeltext 2004 / Lieber stottern, statt schweigen

    Bleibgesund! Das AOK -Magazin, Heft 4/2004


    Interview mit dem Mitglied unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele.

    Es gibt von dem Zeitungsartikel nur noch eine Textdatei, der Zeitungsartikel ist nicht mehr vorhanden.


    Ob Blockaden den Redefluss unterbrechen oder Laute und Silben wiederholt oder gedehnt werden – Stottern äußert sich bei jedem Menschen anders. Rund 1 Prozent der Bevölkerung hat ein Sprechproblem. Und auch die Liste prominenter Stotterer ist lang: Marilyn Monroe, Winston Churchill, Bruce Willis, Isaac Newton, sogar Schnellsprecher Dieter Thomas Heck und viele mehr haben oder hatten dieses Problem. Stottern ist aus allen Zeiten, Kulturen und Sprachen bekannt. Und man weiß heute, Stottern hat nichts mit Dummheit zu tun.

    Die Alltagserfahrungen von Stotterern sind meist geprägt von Demütigungen, Spott, Peinlichkeiten und Scham. Das fängt schon in der Schule an. „Ich habe mich mündlich nie am Unterricht beteiligt“, berichtet die 29Jährige Ilka Scheele, die seit ihrer Kindheit stottert. Schweigen ist eine Strategie, die viele Stotterer verfolgen. Das geht aber nicht immer. Alltagssituationen, wie der Kauf einer Fahrkarte, treiben den Betroffenen die Schweißperlen auf die Stirn, aus Angst vor einer möglichen Sprechblockade. „Auch das benutzen von Synonymen ist keine Lösung“, bekennt die junge Frau aus eigener Erfahrung. „Weil mir harte Buchstaben wie K und P zu schaffen machen, habe ich sie durch andere ersetzt, um mein Stottern zu verstecken. Anstatt „klein“ habe ich „winzig“ gesagt.“ Prompt trat ein, was sie vermeiden wollte: Alle machten sich über sie lustig. „Weil ich Worte benutzte, die man selten sagt.“ 

    Heute schmunzelt die 29 Jährige über diese Situationen. Der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe – die sie heute in Bielefeld leitet – hat ihr schließlich geholfen. Das war vor neun Jahren. Heute ist Ilka Scheele so selbstbewusst, dass man ihr Stottern kaum noch bemerkt.

    In der Gruppe hat sie gelernt, dass sie nicht dümmer ist als andere, nur weil sie nicht flüssig reden kann. „Stottern ist eine organisch bedingte Sprechbehinderung. Das Zusammenspiel zwischen Zunge und Kehlkopf ist gestört. Das hat nichts mit Dummheit, neurotischem Verhalten oder falscher Erziehung zu tun. Zu dieser körperlichen Disposition kommen Einflüsse aus der Sprachentwicklung und der psychosozialen Belastung. Der Stotterer weiß, das er stottern wird, also stottert er.“

    Das Problem beginnt meist bei Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren. Jungen sind doppelt so häufig betroffen, wie Mädchen. Mit mangelnder Intelligenz hat diese Behinderung nichts zu tun.

    Rund 800.000 Betroffenen in Deutschland sind die Ursachen weniger wichtig. Sie müssen ihren eigenen Weg finden, ihr Sprachproblem in den Griff zu bekommen. Entscheidender ist, die Sprechängste abzubauen und den souveränen Umgang mit dem Stottern zu lernen. In der Selbsthilfegruppe wird dies trainiert. Die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern ist ein weiteres Trainingsziel beim wöchentlichen Erfahrungstausch. Wie andere mit ihnen und ihrem Stottern umgehen, ist für den Stotterer von großer Bedeutung. „ Viele Gesprächspartner führen den angefangenen Satz oder das Wort zu Ende. Das ist enttäuschend, weiß ich doch selbst, was ich zu sagen habe,“ erläutert sie die Übung eines Gesprächsverlaufs. „Wichtig ist, dem Stotternden zuhören, ihn ausreden lassen, den Blickkontakt halten. So gibt man dem Stotterer Sicherheit und das Gefühl ernst genommen zu werden.“ 

    Es war für Ilka Scheele ein langer beschwerlicher Weg, nie frei von Hindernissen und Rückschlägen. Aber heute weiß sie, es ist der einzig mögliche, sich aus der Isolation und Einsamkeit zu befreien. Stottern ist besser als schweigen.


  • Artikeltext 2002 / Ich stottere, na und?

    Neue Westfälische

    vom 22.10.2002

    von Jürgen Krüger


    Interview mit den Mitgliedern unserer Stotterer-Selbsthilfegruppe: Ilka Scheele und Marc Joost


    Wie Ilka Scheele (28) und Marc Joost (27) mit ihren Sprechfehlern umgehen.

    Lieber stottern als schweigen: Ilka Scheele und Marc Joost aus Borgholzhausen genießen an einem Holztisch sitzend die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Beide können mittlerweile über ihr Sprechproblem reden.


    Bielefeld. Marilyn Monreo, Winston Churchill, Bruce Willis, ja und selbst Schnellsprecher Dieter Thomas Heck - sie alle haben gestottert oder tun es noch heute. Nicht so bekannt sind Ilka Scheele und Marc Joost aus Borgholzhausen. Aber auch sie haben diesen Sprechfehler und erzählen am heutigen Welttag des Stotterns, wie sie damit umgehen - und, wie andere mit ihnen umgehen sollten.


    Bestimmt nicht so, wie Mike Krüger, der in seinem Blödellied "Mmmmädel..." die Gruppe der Stotterer vorführt und sich über sie lustig macht. Ilka Scheele kennt das Lied zwar nicht, dafür aber einige Kinofilme. "Ein Fisch Namens Wanda" und "Das kleine Arschloch" nennt sie als Beispiel oder Ulk-Opa Dieter Hallervorden in seinem Sketchen. Sie alle machen das, was Stotterer nervt und manchmal auch demütigt: Sie nehmen sie nicht ernst und versopotten sie.

    Ilka Scheele findet solche Szenen nicht witzig. "Menschen, die darüber lachen, lachen auch über mich", sagt die junge Frau, die seit ihrer Kindheit stottert. Worte mit harten Buchstaben wie "K" oder "P" machen ihr zu schaffen. Früher habe sie Worte mit harten Anfängen durch andere mit weicheren Anfängen ersetzt, um ihr Stottern zu verstecken. Anstatt "klein" sagte sie zum Beispiel "winzig". Und prompt trat das ein, was sie nicht wollte: Lehrer, Schüler, Freunde machten sich lustig. "Weil ich Worte benutzte, die man nur selten benutzt."

    Es dauerte lange, bis die Schriftsetzerin mit ihrem Handycap fertig wurde. Ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann half ihr über die Schwelle  hinweg und sie schloss sich einer Selbsthilfegruppe an. Das war vor acht jahren. Heute ist die 28-Jährige so selbstbewusst, dass man ihr das Stottern kaum noch anmerkt. Ilka Scheele geht sogar noch einen Schritt weiter, sie leitet heute die Selbsthilfegruppe in Bielefeld, mit deren Hilfe sie damals aus ihrer schwierigen Lage heraus gefunden hat.

    Dieses Vertrauen in sich und ein Selbstbewusstsein wie es Ilka Scheele hat, wünscht sich Marc Joost. Er ist noch nicht so weit. Unter Stress reden ist mühsam, immer wieder unterbroschen zu werden, lästig, und wenn jemand den satz zu Ende führt, den der 27-Jährige begonnen hat, dann ist das enttäuschend. "Ich weiß selbst, was ich zu sagen habe, aber es dauert eben ein bisschen länger", erklärt der Verwaltungsangestellte.

    Den Stotterern zuhören, sie ausreden zu lassen, Blickkontakt halten - das sind die einfachen Forderungen an die Menschen. "Wir sind nicht blöder als andere, nur weil wir nicht flüssig reden können"; stellt Joost fest.

    Er werde unruhig und fühle sich unter Stress, bekomme Panik, wenn er mit anderen Menschen spreche. das ist der Grund, warum er stottere. Er weiß, wann es losgeht, er kennt die Gefühle genau, wenn er vor dem "Spergau" steht, dem Stottern. Es ist ihm peinlich, wenn er die Worte nicht herausbringt. Joost hat dann Angst, er weiß nicht, was sein Gegenüber nun denkt.

    Ilka Scheele kennt diese gefühle. es sind die gleichen, wenn sie weiß, dass sie jetzt ein Wort sagen muss, für das es keinen Ersatz gibt. "Es ist wie die sich selbst erfüllende Prophezeiung", erklärt sie. Im Gegensatz zu damals hat sie heute damit keine Probleme mehr: "Ich stottere, na und?", sagt Scheele selbstbewusst. Ein Ziel, für das Marc Joost weiter kämpft. Für die innere Ruhe geht er Joggen, fürs Selbstvertrauen spielt er neuerdings Theater. Sobald er in eine andere Rolle schlüpfen kann, braucht er nicht zu stottern - ein Phänomen, das viele Stotterer kennen.

  • Artikeltext 1975 / 2. Treffen der Stotterer-Selbsthilfegruppen in der BRD

    Text kommt.

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